Von Mut, Verzweiflung und Kochen als Politik, die glücklich(er) machen kann 

Interview mit David Höner im 2022 in München 

David Höner, Koch und Journalist hat vor 17 Jahren die Cuisine sans Frontiéres (CsF) in der Schweiz gegründet. Über seine Freundschaft zu Franz Keller und Jörg Linke ist es letztendlich zur Gründung der Küche ohne Grenzen (KoG) in Deutschland gekommen. 

Unser Vorstandsmitglied Stephanie Bräuer hat ihm ein paar Fragen gestellt. Es geht um die Ursprungsidee zu den CsF, um Mut und Verzweiflung, um Herausforderungen und Anforderungen und darum, warum man mit Essen und Kochen weltweit ein bisschen mehr Freude und Perspektive verbreiten kann. 

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Stephanie Bräuer: David, in Deinem Buch „Kochen ist Politik“ erzählst Du die Geschichte der Cuisine sans frontières. Das Buch kann ich nur empfehlen, denn es ist nicht nur berührend, sondern ganz einfach auch spannend. Weil es alle selbst lesen sollten LINK, hier also nur die Kurzversion: Wie ist es zur Gründung der CsF gekommen?

David Höner:
Ich war als Journalist in einem Krisengebiet. Dort wurde mir bewusst, dass einer der größten Schrecken des Kriegs die ungeheure Einsamkeit der Leute ist, die dort noch leben. Und zwar nicht die der Kombattanten, die haben ihre Aufgabe und auch ihre soziale Anbindung. Wer das aber nicht mehr hat, sind die Frauen, Kinder und älteren Menschen. Die sind verschreckt und trauen sich nicht mehr aus ihren Unterkünften (wenn sie noch welche haben) und sie haben auch keine Orte mehr, an denen sie sich treffen können. Früher war das mal die Kirche, aber die hat auch in solchen Ländern ein bisschen an Glanz verloren. Was aber nicht an Attraktivität verloren hat, ist die Qualität eines guten Gastgebers, der zudem neutral ist. Neutral im Sinne von „zu mir können alle kommen“. Unsere Idee war also: Lass uns neutrale GastgeberInnen Orte schaffen. In unseren wohlgenährten Schweizer Kreisen gibt es an jeder Ecke eine Kneipe - über deren Qualität man natürlich sprechen kann - aber es gibt sie, diese Treffpunkte, In Putumayo, Kolumbien, gibt es sie nicht mehr und dort haben wir dann auch unser erstes Projekt gestartet.

Was steckt hinter dem Titel „Kochen ist Politik“? 

Erstens: Die Gastronomie ist der größte Arbeitgeber der Welt. Außerdem gibt es keinen anderen Arbeitszweig im menschlichen Leben, der so viele Bereiche abdeckt und so viele Arbeitskräfte bindet und damit auch beeinflusst. Das ist ein politischer Vorgang. Wenn sich die ganze Welt mit etwas beschäftigt, dann ist das Politik, und wenn die Nahrungsmittel-Produktion mittlerweile mehr und mehr zur Industrieproduktion abgleitet, dann ist das Wirtschaftspolitik. Und wenn Kleinbauern, weil sie sich von ihren Höfen nicht mehr ernähren können, vereinsamen – und dann lieber als Hilfsarbeiter auf den Bau gehen – dann ist das Sozialpolitik. Was wir essen, beeinflusst unsere Gesundheit, das ist Gesundheitspolitik. Und so weiter. Mit dem Thema Essen und Trinken ist doch fast alles verknüpft. Auch der Bomber-Pilot isst und trinkt, gäbe man ihm nichts mehr zu essen, dann hätten wir gleich mehr Frieden .... Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Aber es zeigt schon, wie viele Bereiche unseres Lebens Essen und Trinken berührt.
 
Nun schrecken ja viele Leute gerade vor den großen, den politischen Themen zurück. Sie reden vielleicht darüber, aber sie sagen auch: „Was soll ich denn da machen? Was kann ich schon bewirken?“ Was hat Dir den Mut gegeben zu sagen “Völlig egal, ich mach jetzt einfach“?

Das kann ich nicht genau sagen, aber es hängt sicher auch mit meinem familiären Hintergrund zusammen. Mein Vater war evangelischer Pfarrer und hat sich lebenslang stark sozial engagiert. Das hat er auch an uns Kinder weitergegeben. Dabei war er ein progressiver Pfarrer und hat niemandem den lieben Gott unter die Nase gerieben. Einer seiner Sprüche war auch: „Gott hat keine anderen Hände als die deinen. Also bist immer du derjenige, der etwas macht.“ Vor diesem vielleicht etwas spirituellen Hintergrund –ich selbst bin eigentlich Agnostiker – gibt es ja doch die Vermutung, oder das Handeln nach der Überzeugung, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Und mit seinem eigenen Handeln also auch das Ganze berührt und zum Guten wandeln kann. 

Und was kann ich? Ich bin Koch, ich bin Gastgeber, ich kann ein Restaurant eröffnen. Ich bin ganz sicher nicht der Meinung, dass ich mit einem Krisenprojekt die Welt im Großen und Ganzen verbessern kann. Aber es ist ein Sandkorn auf dem Weg zu einer besseren Welt. Und nach 17 Jahren CsF habe ich das alles auch schwarz auf weiß. Viele Sandkörner. 


Braucht man nicht auch ein gesundes Selbstbewusstsein? 

DH: Ich glaube, dass man an sich selbst glauben muss. Und zwar in dem Sinn, dass man Teil eines Ganzen ist. Und dieses Ganze ist Essen und Trinken. Da komme ich auch wieder auf das zurück, was ich vorher gesagt habe: Jede und jeder von uns isst und trinkt, also kann man damit kleinere oder größere Sachen bewirken – überall. Vielleicht kostet es manchmal Geld, vielleicht Zeit, vielleicht muss man auf ein paar Sachen verzichten und verdient mit solchen Projekten kein Geld. Aber man ist zufrieden. Ich glaube nicht, dass mein Leben irgendwie besser wäre, wenn ich einen Ferrari vor der Tür stehen hätte. Wenn du mir heute einen schenken würdest, würde ich ihn noch nicht mal mehr nehmen. Aber verkaufen und das Geld in Projekte stecken wahrscheinlich.
 
Wie oft warst Du davor, aufzugeben? 

Schon beim allerersten Projekt in Kolumbien und Ecuador. Da geriet ich in eine Situation, die dermaßen bedrohlich war – so bedrohlich, dass mir von zwei verschiedenen Seiten gesagt wurde „Wenn du jetzt hier nicht weg gehst, dann werden wir dafür sorgen, dass du wegkommst“.  Ich hatte mich in meiner Blauäugigkeit und in großer Unkenntnis davon, welche Strömungen dort abliefen, total falsch verhalten. Das hat mich so erschreckt, dass ich schon fast den Mut verloren hätte. Dann kam aber das nächste und das nächste Projekt. Und wir waren nicht mehr zwischen den – teilweise ganz wörtlichen – Fronten, sondern in ganz anderen Situationen. Situationen, in denen sich die Leute vor dem Krieg versteckt haben und sich bemüht haben, aus ihren Ängsten herauszukommen. Da haben wir gemerkt, dass es wunderbar funktioniert hat, für diese Menschen Treffpunkte aufzubauen. So wie beispielsweise ein kleines Restaurant, tagsüber für SchülerInnen und abends für die Leute des Dorfes. Das wurde ganz schnell zu einem wichtigen Punkt des Austausches. Nicht, dass sich dort nun auch die Paramilitärs getroffen hätten, um sich lustige Geschichten zu erzählen, so weit ist es nicht gekommen. Aber dieser Ort hat dem Dorf und seinen Menschen ganz neue Kraft gegeben. 

 

Und nie mehr gezweifelt?
Nein, aber was mich später natürlich immer wieder zum Verzweifeln gebracht hat, war, dass wir so oft zu wenig Geld hatten. Zu wenig Geld, um gute Projekte umzusetzen. Und dann dieses ewige Betteln um Geld und auch immer mal wieder abgewiesen werden. Das geht an die Substanz. Aber da muss man auch durch. Wir haben das Glück, dass wir eine ganz Gruppe von engagierten Leuten sind, die sich auch gegenseitig unterstützen. Und wenn jemand mal eine Pause braucht, dann ist das auch in Ordnung. Aber insgesamt hatte ich nach dem ersten Projekt, das funktioniert hat und dann nach dem Zweiten, nie mehr das Gefühl, ich wollte die Flinte ins Korn schmeißen, sondern ich habe nur gedacht. „Also, dann machen wir das jetzt:“ 


Und die CsF und jetzt die KoG brauchen ja nicht nur Geld, sondern auch viele Freiwillige (Volunteers) – Was sind das für Menschen – was müssen Sie leisten? 

DH: Für die Volunteers gibt es keine Pauschalbeschreibung. Bei uns waren es in den letzten 17 Jahren ganz unterschiedliche Menschen. Die älteste war glaube ich 67 und die Jüngste so um die 18 Jahre alt, hatte gerade ihr Abitur abgeschlossen und kam ein Jahr zu uns nach Ecuador. 

Eine 67-Jährige traut sich in eines der Projekte? 

Oh ja, Katharina war ihr ganzes Leben lang Lehrerin und Rektorin an einem Fremdspracheninstitut in Zürich gewesen. Wir brauchten damals jemanden, der Englisch-Unterricht gibt. Sie hatte eine fürchterliche Anreise und wir dachten schon, sie reist gleich wieder ab. Aber sie hat sich durchgebissen und ist geblieben. Und wir sind heute noch befreundet. 

Ich glaube, jede/jeder die/der eine, wie soll ich sagen „gastgeberische“ Ader hat, kann an einem unserer – und in Zukunft auch Eurer – Projekte mitarbeiten. Natürlich ist es gut, Leute zu haben, die aus dem Gastro-Gewerbe kommen, also aus Gastronomie, Service, Küche, Administration, Hoteldirektoren oder Catering. Aber am wertvollsten und wichtigsten ist es, diese gastgeberische Empathie und den Respekt für den Gast, für Menschen und für das Fremde zu haben. Das haben doch viele Leute und es ist vor Ort immer auch ein Profi dabei. 

Wie lange müssen die Volunteers denn bleiben? 

DH: Natürlich haben wir Volonteers, die nur einen Monat bleiben – dann müssen sie aber den Flug selbst bezahlen. Einige bleiben 2-3 Monate. Am liebsten sind mir persönlich diejenigen, die sechs Monate bleiben, dann können sie wirklich eine große Hilfe sein. Aber wie man bei „Eurem“ Robert gesehen hat, manchmal bewirken auch vier Wochen schon eine ganze Menge. 

Hat man es auch manchmal mit „feindlich gestimmten“ Menschen zu tun. 

Ja, manchmal schon. Es gibt Situationen, da muss man mit Militärs verhandeln, von denen man weiß, dass sie Verbrecher und Mörder sind. Man muss sich mit ihnen treffen, damit man die Erlaubnis bekommt, vor Ort zu operieren. Das Verrückte ist aber: Dann von Themen wie Essen und Trinken zu sprechen, hat eine ganz andere Farbe, als wenn wir Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes wären. Ich habe natürlich ein paar Situationen erlebt, in denen ich Leute treffen musste, mit denen ich nichts zu tun haben wollte.  Und nach einer halben Stunde haben wir uns über Rezepte von seiner Großmutter unterhalten. Wie ich gesagt habe: Essen und Trinken ist immer ganz nahe und immer politisch. 


Die CsF gibt es jetzt sehr erfolgreich seit 17 Jahren. Du bist selbst gerade aus dem Vorstand ausgeschieden – aber natürlich trotzdem noch aktiv. Und Du berätst uns hier in Deutschland bei der Küche ohne Grenzen. Sie ist die erste Erweiterung der CsF in einem anderen Land, richtig? 

Jein. Wir haben in Ecuador eine „Cosina sin fronterras, Ecuador“ gegründet. Wir wollten, dass die Partner, mit denen wir im Land zusammenabreiten, eine eigene juristische Form bekommen. Und dasselbe machen wir gerade in Kenia. 

Aber Deutschland ist ja kein Entwicklungsland, oder ein Land, das in Tod und Not versinkt. Es bräuchte also keine selbstständige juristische Formation, um die Leute zu organisieren, die dann ein Projekt betreiben. 

Aber die Gründung der Küche ohne Grenzen in Deutschland ist für mich ein großes Kompliment. 

Wieso ein Kompliment? 

Es ist ein Schritt aus dem doch recht kleinen Schweizer Raum hinaus, nach Europa. Über die Europäische Union kann man denken, was man will, aber ich glaube, die Europäische Union ist eine Tatsache. Und wenn man in Deutschland eine kleine gemeinnützige Organisation aufbaut, dann hat man eine ganz andere Reichweite. Es ist nicht nur die Reichweite für Fundraising, es ist auch die Reichweite an neuen Leuten und Ideen. 

Die Küche und Grenzen Deutschland ist ja eine eigenständige Organisation, die nicht von Zürich aus gelenkt wird. Ich hoffe natürlich, dass eine gute, fruchtbare Zusammenarbeit möglich sein wird, aber Ihr seid jetzt eine eigene Geschichte mit eigenen Leuten und eigenen Ideen. Zum Beispiel Euer Projekt in der Förderschule in München, also im Inland. Das ist ein ganz neuer Ansatz. Wir in der Schweiz sind immer in Krisengebiete außerhalb der Schweiz gegangen. Unser einziges Schweizer Projekt ist in einem Bundesverfahrenszentrum. Dort beantragen die Leute Asyl, bleiben sechs Monate, werden untersucht und ihr Status wird abgeklärt. Das ist ein ganz kalter Ort, da machen wir ein oder zweimal im Monat eine Art Welcome Party. Einfach, damit sie das Gefühl bekommen, dass sie willkommen sind, dass man ihnen sagt, wie es weitergeht – und dass wir gemeinsam kochen und essen. 

Was wünscht Du uns denn für die Entwicklung der Küche ohne Grenzen in Deutschland.

Was ich Euch wünsche, sind Leute wie Robert, der jetzt ganz spontan nach Burkina Faso gegangen ist. Was ich Euch wünsche sind Leute, die ich bei Euren ersten Meetings kennen gelernt habe. Dann wünsche ich Euch Geld. Geld braucht es, denn ohne Geld kann man wenig bewirken. Dann wünsche ich Euch eine wunderbare zuverlässige, immer anwesende Bürokraft. Das werdet Ihr brauchen. Ich wünsche Euch viel Mut und viel, viel Glück und die Freiheit, das tun zu können, was Ihr für richtig und wichtig empfindet. 

Dann bin ich als Berater gar nicht mehr so wichtig. Es gibt immer wieder Leute, die mehr wissen, hier oder vor Ort. Auf die muss man muss man hören. Man muss wahnsinnig aufpassen, dass man nicht auf die Schiene kommt: „Ich bin der/die weise EuropäerIn, und ich weiß wie’s geht. Weil ich weiß bin oder weil ich internationale Politik studiert habe oder was auch immer. Empathie, Verständnis, der Umgang mit den Menschen auf Augenhöhe - auch wieder so ein Schlagwort, aber hier trifft es sehr gut zu - mit den Leuten umgehen, das halte ich für total wichtig.
 
Ich glaube auf uns alle kommen sehr viele spannende, herausfordernde Zeiten zu und viel Klinkenputzen. Aber ich glaube auch genau das, was viele KöchInnen an ihrem Beruf lieben: weil man mit kaum mit einem anderen Beruf, mit kaum anderen Themen wie Essen und Trinken Menschen so unmittelbar glücklich machen kann

Das kann ich nur unterschreiben. 


Ich danke Dir vielmals für diesen Gespräch und Deinen unermüdlichen Einsatz.
 
 
 

 



Bücher von David Höner (Westendverlag)

Kochen ist Politik

Warum ich in den Dschungel gehen musste, um Rezepte für den Frieden zu finden

Die Friedensküche 

Wie kann es einem Koch gelingen, in Kriegs- und Krisengebieten in Afrika und Lateinamerika erfolgreich für den Frieden zu arbeiten – allein mit Rezepten und Kochlöffeln ausgerüstet, zwischen Drogenbanden und schwerbewaffneten Volksstämmen? „Essen und Trinken kann die Welt verändern, gemeinsame Tischgespräche können Konflikte lösen“, sagt David Höner. Er leistet „Entwicklungshilfe“ nicht in einem Büro, sondern vor Ort: im Dschungel, auf dem Río Napo oder im kenianischen Hochland. Ein spannendes Buch voller ungewöhnlicher Antworten auf unsere dringendsten Probleme und voller Rezepte der „Cusine sans frontières“ für eine erfolgreiche Friedenspolitik. 

Köche, hört die Signale

Ein kulinarisches Manifest 

Doris Dörrie, Eckhart Witzigmann, Maria Groß, Sandra Knecht, Birgit Reitbauer, Romana Echensberger, Robert Mangold, Franz Keller 

 

David Höner blickt zornig auf die Früchte der Globalisierung, die keinem schmecken. Ob es die betriebswirtschaftlich organisierte Gastronomie ist, die auf Lebensqualität und Gesundheit spuckt, ob es sich um die immer schlechter werdende Ausbildung von Köchen handelt, um krank machende Produkte der Nahrungsmittelindustrie oder „nur“ um die Verwilderung der Tischsitten – für David Höner ist es an der Zeit, ein Zeichen zu setzen und den Köchinnen und Köchen dieser Welt zuzurufen: „Köche, hört die Signale!“ Mit ihm melden sich in seinem kulinarischen Manifest Meisterinnen und Meister ihres Fachs zu Wort: Romana Echensperger, Maria Groß, Franz Keller, Sandra Knecht, Robert Mangold, Birgit Reitbauer, Eckart Witzigmann – und Doris Dörrie.